Meine Geburtserfahrung war keine Liebesgeschichte

Soll ich sie trotzdem aufschreiben?

Wenn ich Menschen erzähle, dass ich Geburtsgeschichten aufschreibe, nutze ich oft das Wort “Liebesgeschichte”. Denn die Geschichte einer Geburt ist eine Geschichte voller Liebe, Vertrauen, Loslassen und Ankommen.

Wenn wir diese Worte hören oder lesen, haben wir häufig Bilder von entspannten Geburten im Kopf: Vielleicht eine Wassergeburt in der Klinik, oder eine Hausgeburt im Kreis der Familie.

Und dann gleichen wir unbewusst diese Bilder mit unserer Erfahrung ab.

Viele Frauen stellen fest:

Nein, so war meine Geburtserfahrung nicht. Da gab es Angst, Wut, Schmerz, Vertrauensbrüche, Hilflosigkeit oder Trauer.

Die Geburt meines Kindes war keine Liebesgeschichte.

Ich kenne das Gefühl. Unsere Wünsche und Vorstellungen zerplatzen wie Seifenblasen. Alles läuft anders. Manche können sich dann mit einem Satz über Wasser halten: “Hauptsache, das Baby ist gesund”. Bei anderen geht noch nicht mal das — denn das Baby ist nicht gesund.

Je mehr negative Erinnerungen hochkommen, desto weniger fühlt sich die Geburtserfahrung wie eine Liebesgeschichte an.

Liebe ist stärker als Wut, Schmerz und Angst

Ich hatte einmal eine Kundin, deren Baby die Geburt nicht überlebte. Als sie sich dazu entschied, mir von der Geburt ihres Kindes zu erzählen, flossen viele Tränen. Bei ihr, und auch bei mir. Es war nicht das erste Mal, dass sie davon erzählte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich mit solchen traurigen Geschichten in Kontakt kam.

Doch genauso, wie ich mich über wunderbare Geburtserlebnisse freue, hat mich ihre Erfahrung sehr berührt.

Nach unserem Gespräch begann ich, die Geschichte aufzuschreiben. Und ich merkte:

In jeder Entscheidung der Mutter lag die Liebe zu ihrer Tochter verborgen.
In jeder Träne und jedem Stocken wirkte die Kraft, die sie mit ihrem Baby verband.

Liebe ist mehr als eine entspannte Geburt. Liebe ist auch, dass du dich um dein Baby sorgst, dass du dich fragst, was du hättest anders machen sollen, dass du an dir zweifelst.

Das alles zeigt nämlich: Du fühlst dich für dieses kleine Wesen verantwortlich. Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern ist anders als Liebe zwischen Erwachsenen. Denn die Verantwortung für die Beziehung liegt immer bei den Eltern.

Du hast die Verantwortung angenommen. Nicht, weil dich jemand dazu gezwungen hätte, sondern weil du entschieden hast, dieses Kind zu lieben.

Mütter mit hormonellen Problemen (bei denen also nicht schon die Hormone dafür sorgen, dass wir unsere Kinder knuddeln wollen), lieben ihre Kinder dennoch. Denn es ist uns Menschen möglich, diese Entscheidung bewusst zu treffen. Liebe ist mehr als ein Gefühl. Liebe ist eine Entscheidung.

Schieb die negativen Gefühle nicht weg

Wenn du deine Geburtserfahrungen aufschreiben möchtest, geht es also nicht darum, all die negativen Gefühle wegzuschieben, zu ignorieren oder zu beschönigen.

All diese Gefühle haben ihre Berechtigung. Sie sind Teil deiner Geburtserfahrung und deshalb auch Teil der Geburtsgeschichte.

  • die Angst, dass das Baby auf dem Weg zum Kreißsaal im Auto geboren wird,
  • die Wut darüber, dass der Vater des Kindes nicht bei der Geburt dabei sein durfte,
  • die Verzweiflung, dass du dich alleingelassen fühltest,
  • die Mutlosigkeit, dass der Muttermund sich nun schon seit Stunden nicht weiter öffnete,
  • die Schmerzen bei jeder Kontraktion,
  • die Ekel vor dem eigenen wabbeligen Körper nach der Geburt,
  • die Hilflosigkeit, dass das Stillen nicht sofort funktioniert,
  • die Trauer, wenn dein Kind nicht gesund zur Welt gekommen ist.

All diese Gefühle bekommen Platz in deiner Geschichte. Denn sie sind real und sie sind Teil deines Weges.

Das heißt aber nicht, dass sie die Geschichte dominieren.

Denn hinter all diesen Gefühlen steht die Liebe zu deinem Baby. Nur, wenn wir ein Wesen so bedingungslos und hingebungsvoll lieben, können wir auch solche Angst verspüren — oder Wut oder Trauer.

Diese Liebe bringe ich in der Geschichte zum Vorschein. Manchmal will sie sich verstecken hinter all den anderen Emotionen. Das ist okay. Behutsam locken wir sie hervor. Vielleicht muss sie erst lernen, dass sie zwischen all den negativen Gefühlen trotzdem einen wichtigen Platz hat.

Geburtsgeschichten können Frieden bringen

Manchmal beginne ich, Geburtsgeschichten aufzuschreiben, doch wir brechen dann im Laufe des Prozesses ab. Nicht immer bin ich die richtige Ansprechperson; manchmal ist auch die Zeit noch nicht gekommen.

Andere Frauen gehen mit mir durch den gesamten Prozess. Manchmal dauert er nur ein paar Wochen. Seltener viele Monate.

Häufig erzählen mir die Frauen, wie all die Gefühle wieder hochkamen, als sie ihre Geschichte zum ersten Mal in der Hand hielten. Doch sie erzählen mir auch, dass sie durch die geschriebene Geschichte Frieden mit ihrer Geschichte schließen konnten.

Manchmal hilft es, alles einmal aufzuschreiben, es zu lesen, und dann das Buch ins Regal zu stellen und sich der Zukunft zuzuwenden. Gerade Frauen mit schwierigen Geburtserlebnissen berichten, dass ihnen das geholfen hat.

Geburtsgeschichte als Geburtsvorbereitung für die nächste Geburt

Recht häufig wenden sich Frauen an mich, um die Geburt ihres ersten Babys aufzuschreiben, während sie mit dem zweiten Baby schwanger sind. Sie möchten die Geburtserfahrungen gerne aufarbeiten, um sich besser auf die kommende Geburt vorbereitet zu fühlen.

Gerade bei schwierigen Geburten kann es helfen, diese vor der nächsten Geburt nochmals detailliert anzuschauen.

  • Einerseits kannst du Mut daraus schöpfen, wie viel Liebe selbst in den schwierigsten Momenten da war.
  • Andererseits kannst du herausfinden, was du gerne anders machen möchtest bei der nächsten Geburt.

Beides ist sinnvoll und wertvoll. Auch, wenn es nie eine Garantie für einen Geburtsverlauf gibt: Es tut gut, die Lasten der Vergangenheit nicht mit in die neue Geburt zu nehmen.

Denn jede Geburt ist einzigartig. Jedes Baby ist einzigartig. Und auch du bist nicht dieselbe Person wie bei der letzten Geburt.

Selber schreiben oder schreiben lassen?

Ob du deine Geburtsgeschichte selber aufschreibst oder sie aufschreiben lässt, liegt bei dir. Vielleicht hast du sie auch schon geschrieben und willst sie nur noch in passendere Worte fassen lassen.

All das ist möglich.

Es gibt nicht den einen Weg, den du gehen musst. Es gibt viele Optionen, und welche davon für dich richtig ist, kannst du testen.

Ich wünsche dir ganz viel Erfolg dabei. Lass dich von Rückschlägen nicht entmutigen und finde deinen Weg.

Denn: Jede Geburtserfahrung ist einzigartig und wirklich jede Geburtserfahrung ist es wert, aufgeschrieben zu werden.

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